Börkum hett Tied för di | Breite 53´33´N | Länge 6´45´E

Böskupp van Börkum

Der letzte Gang

vom Borkumer Bürgermeister Tönjes Kieviet
Borkum

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Bürgermeister Tönjes Kieviet 1892 - 1932

Eine Trauerstimmung liegt über der Insel. Die Luft ist so. eigenartig erfüllt von all den Gedanken der Inselbewohner, die um ihren toten Bürgermeister trauern, der nun, für immer von ihnen gegangen ist.

An einem Sonnabendmittag im August des Jahres 1945 steht vor Bürgermeister Kieviets Haus in der Westerstraße der Totenwagen. Die Fenster des Hauses sind schwarz verhängt. In seinem Zimmer aufgebahrt zwischen Lorbeerbäumen, Blumen und Kränzen liegt der tote Bürgermeister der Insel. Die letzten Augenblicke, die er noch in seinem Hause ist, sind gekommen. An seinem offenen Sarg stehen seine Kinder und die Herren von der Gemeindevertretung. Die Herren sind gekommen, um den toten Bürgermeister zur Wandelhalle, wo er die letzten Stunden, bevor er der Erde übergeben wird, aufgebahrt werden soll, zu geleiten. Nachdem der Sarg geschlossen ist, wird er aus dem Hause getragen und auf den Totenwagen gestellt. Aus der Haustür, aus derer so unzählige Male mit seinem Handstock, mit Silbergriff, in der Hand gegangen ist, wenn er zum Rathaus ging, oder um seinen täglichen Spaziergang über die Strandmauer zu machen. In der Haustür stehen seine Kinder und sehen ihn weinend scheiden, denn er war ihnen ein guter Vater gewesen. Am tiefsten ist Meemke erschüttert, die mit ihm zusammen wohnte und mit der er so viel -innere Bindung hatte.

Ein flacher Wagen, übervoll mit Kränzen, fährt dem Totenwagen vorauf. Der Wagen mit dem toten Bürgermeister setzt sich in Bewegung. Die Herren von der Gemeindevertretung und sein Sohn und Schwiegersohn folgen ihm. Der Weg geht durch die neue Straße am Rathaus vorbei. Am Rathaus macht der Wagen für einige Augenblicke Rast. Mancher der Herren von der Gemeindevertretung mag beim Anblick des so stattlich vor ihnen liegenden Rathauses mit seinem oben aus dem Dach kommenden kleinen Ausblickturm gedacht haben: „Wieviel Sorge um den Bau dieses neuen Rathauses hat sich der alte Bürgermeister gemacht. Aber nach Fertigstellung des Baues, wie unendlich viel Arbeit hat er darin für seine Gemeinde geleistet!" Noch einen Augenblick verweilt der tote Bürgermeister an seiner Arbeitsstätte, dann setzt sich der Totenwagen wieder in Bewegung, durch die Große Straße am Bahnhof vorbei bewegt sich der Zug dem Strande zu. Über die Promenade, die seinen Namen trägt, wird er zur Wandelhalle gebracht, um dort noch ein paar Stunden, umbraust vom Tosen des Meeres-und vom Schrei der Möwen, zu verweilen, bis er auf dem Dorffriedhof neben seine Frau gebettet wird.

Die großen Fenster der Wandelhalle sind verhängt; eine eigenartige Dämmerung ist in dem Raum, wo der tote Bürgermeister aufgebahrt ist unter Kränzen, die so groß und gewaltig sind, so groß wie seine Werke waren, die er für die Gemeinde getan hat. - Langsam füllt sich nun der Raum der Wandelhalle mit Menschen, die noch eine stille Viertelstunde mit ihrem toten Bürgermeister zusammen sein wollen. Der Badedirektor ist als erster erschienen, ergriffen steht er vor dem Sarg. Der Tote war ihm ein väterlicher Freund gewesen und hatte immer anerkennend den Neuerungen des jungen Direktors zugestimmt. Jetzt kommen die Herren von der Gemeindeverwaltung mit dem neuen Bürgermeister; es kommen die Vertreter der Dampfschiffahrts-Aktien-Gesellschaft; es kommen Vertreter der verschiedenen Sparkassen, dessen Vorstandsmitglied er gewesen war; die Lehrer der Schulen mit ihrem Rektor; die Ärzte; die Pastoren beider Konfessionen. Jetzt kommen die Angehörigen. Seine Tochter Meemke ist tief verschleiert. Ein Jahr ist es her, da hat sie ihren Mann ins Grab gesenkt, und nun steht sie mit ihren beiden Kindern an der Bahre ihres Vaters. ----

Sein Bruder Reinder kommt - mit seiner Familie. Er steht mit gefalteten Händen an der Bahre, die Tränen rollen ihm in seinen. grauen Bart. Vielleicht zieht in diesem Augenblick die Kindheit an Reinder vorüber, wie sie nach dem Tode der Eltern vom schönen Ostlandhof, auf dem sie so glückliche Kindertage verlebten, zu Verwandten auf Westland kamen, und nun getrennt bei verschiedenen Verwandten wohnten. Wenn sie sich auf der Straße trafen, dann sprachen sie vom -Elternhaus und in ihren Kinderherzen war große Trauer. Um ihr verlorenes Paradies. Eine schwere Jugend hatten die Kinder durchgemacht, darum ist der tote Bürgermeister in seinem Leben auch wohl so wortkarg gewesen.

Der Mittelraum der Wandelhalle ist gedrängt, voll von trauernden Menschen. Jetzt kommt der Pastor der reformierten Gemeinde. Es ist eine große Stille im Raum. Der Pastor steht am Fußende des Sarges, nun ergreift er das Wort zu einer Ansprache, in der er das Leben des Toten, als Mensch und Christ an der Trauergemeinde vorbeiziehen lässt. Man sieht den Toten noch einmal in seiner breiten Erscheinung in der Kirchenbank sitzen und - gespannt dem göttlichen Wort, das der Prediger von der Kanzel verkündet, lauschen. Am Ausklang der Ansprache sagt der Pastor die treffenden Worte der heiligen Schrift, Spruch 10, Vers 7:

„Das Gedächtnis der 'Gerechten bleibt im Segen!“ Dann spricht er das Vaterunser. Nach dem Gebet ist ein stiller Augenblick, dann erklingt das Lied, von Männern des - Borkumer Jungens-Verein gesungen: Gott ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln! Nach Beendigung des Liedes steht - der neue Bürgermeister auf, tritt an die Bahre und spricht im Namen der Gemeinde dem Toten Dank aus für alles, was er für seine Gemeinde getan hat. Seine letzten Worte waren; „Ruhe in Frieden! Nun spielt die - Kurkapelle getragene Abschiedsmusik. Beim Verklingen der letzten Töne wird der Sarg aus der Wandelhalle getragen und auf den Totenwagen gesetzt. Das Meer rauscht seine uralte Melodie, der der Tote so oft gelauscht hat; wenn er seinen täglichen Strandspaziergang machte. Die Möwen umkreisen den Totenwagen, und - die Tauben sitzen auf dem Musikpavillon und trauern mit dem Inselvolk um seinen toten Bürgermeister.

Langsam setzt sich der Totenwagen in Bewegung. Dem Wagen vorauf gehen die jungen Männer der Inselgemeinde, hinter dem Wagen gehen die Verwandten, und dann folgt ein unübersehbares Trauergefolge. Der Weg geht von der Wandelhalle über die Promenade, die seinen Namen trägt. Sie trägt mit Recht seinen Namen, denn er hatte die Idee, die breite Strandpromenade anzulegen, und hat es auch trotz vieler, vieler Hemmungen fertiggebracht.

Nun fährt er zum letzten Mal über seine Promenade. Der Totenwagen fährt dann dem Dorf zu. Das Meer braust ihm den Abschiedsgruß, und vom Dorf, vom Kirchturm läuten die Glocken ihm den Himmelsgruß, den ehernen Klang aus der Ewigkeit zu. Der Totenwagen fährt durch die Dorfstraßen, die so still und ausgestorben sind, als ob für Augenblicke der laute Kurbetrieb, der sonst die Straßen belebt, den Atem anhält aus Trauer um ihren Bürgermeister. Langsam fährt der Wagen dem Friedhof zu. Vor der Friedhofspforte hält der Wagen, Arbeiter der Gemeinde tragen den Sarg mit dem toten Bürgermeister zur Gruft. Sie lassen den Sarg langsam hinunter ins Grab. Nun stehen sie still und schauen hinein, manches Auge der harten Friesengesichter füllt sich mit Tränen, denn der, den sie nun ins Grab gesenkt haben, ist ihnen ein guter Bürgermeister und Ratgeber gewesen.

Das Trauergefolge hat sich um die offene Gruft geschart. Da erklingt leise der Gesang, gesungen von den Männern des Borkumer Jungens-Vereins: „Heilig, heilig, heilig ist Gott der Herr“ Nach Beendigung des Liedes ist der Pastor an die Gruft getreten. Er spricht ein Gebet und dann sagt er die uns allen so bekannten Worte: „Erde bist du, zu Erde sollst du werden, aber der Herr wird dich auferwecken an seinem Tage!“ Drei Schaufeln Erde wirft der Pastor auf den Sarg. Damit ist der tote Körper der Erde übergeben. Die nächsten Angehörigen gehen an die Gruft und schauen noch einmal in das Grab. Meemke tritt mit ihren beiden Kindern an die. Gruft, sie werfen Blumen hinein. Die Glocken läuten noch immer.

Beim letzten Klang der Glocken verlässt die Trauergemeinde den Friedhof. Freunde Und Bekannte und die Nachbarn gehen noch mit den Leidtragenden nach Hause, um bei einer Tasse Tee noch eine Stunde des Toten zu gedenken. Beim Fortgehen schauen sie noch einmal in sein Zimmer, wo er immer an seinem Schreibtisch saß. Dann geht jeder wieder seinem Hause zu. Nun senkt sich der Abend über die Insel. Ein Tag ‚ist zu Ende gegangen, der vielen Inselmenschen noch lange in der Erinnerung bleiben wird, denn heute hat man den toten Bürgermeister, zur letzten Ruhe bestattet. Den Bürgermeister, den Sohn der Insel, der Kindern und Kindeskindern des Inselvolkes immer eine Wirklichkeit bleiben wird durch seine Werke. Er ließ die Straßen bauen, die Kanalisation anlegen, das Wasserwerk, das Rathaus und die Wandelhalle erbauen. Die Große Strandpromenade. war seine Idee. Er war der Mann, der durch seine Werke vielen Menschen des Inselvolkes Arbeit und Verdienstmöglichkeit gegeben, jetzt und in Zukunft. 'So wird sich das Bibelwort an ihm bewahrheiten: „Das Gedächtnis der Gerechten bleibt im Segen!"

Borkum

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Quellennachweis: Erarbeitet durch Schönbeck-Borkum | Mimy Czybulka – Teerling; Oktober 1948

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